16.05.2025 - 13.09.2025 | Edition Mai 2025

«NEOGEO – Décalages féminins»


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Claudia Comte, Athene Galiciadis, Andrea Heller; Foto: Bernhard Strauss

Die Ausstellung «NEOGEO – Décalages féminins» bringt zwei Generationen von Künstlerinnen zusammen, die auf ihre je eigene Weise die Formen und Möglichkeiten der geometrischen Abstraktion erforschen: Claudia Comte, Isabelle Cornaro, Anaïs Defago, Sylvie Fleury, Athene Galiciadis und Andrea Heller. Die Ausstellung wird an zwei Orten präsentiert - der Graphischen Sammlung ETH Zürich (2. April – 6. Juli 2025) und der Edition VFO - und wurde als Zusammenarbeit der beiden Institutionen organisiert.

Historisch gesehen bezeichnet der Begriff Neo-Geo eine in den 1980er Jahren in den USA entstandene Kunstrichtung, die mit den Codes der abstrakten Kunst und der Konsumgesellschaft spielte. Künstler wie beispielsweise Peter Halley nutzten geometrische Formen, um – oft mit ironischem Unterton – die Rolle der Kunst in einer von Bildern, Medien und Waren gesättigten Welt zu hinterfragen.

In der französischsprachigen Schweiz nahm dei Neo-Geo Strömung jedoch eine andere Wendung. Ab den 1980er Jahren entwickelten Künstler wie Olivier Mosset oder John Armleder eine Version des Neo-Geo, die geometrische Abstraktion stärker in der Kunstproduktion und Appropriation verankerten. Ihre Werke waren weniger zynisch und hinterfragten die Wiederholung, die Originalität und die Rolle der Kunstschaffenden auf subtile und humorvolle Weise.

Die Ausstellung «NEOGEO – Décalages féminins» knüpft an dieses Erbe an, verändert es aber gleichzeitig grundlegend. Die sechs präsentierten Künstlerinnen führen die geometrische Abstraktion weiter, indem sie neue feministische, sinnliche, kritische oder narrative Dimensionen einführen.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Anaïs Defago, Sylvie Fleury, Isabelle Cornaro; Foto: Bernhard Strauss

Claudia Comte (*1983) schafft mit Serialität, Muster und Form Werke, die in einem methodischen und visuellen Rhythmus zueinander in Beziehung stehen. Ihre Editionen «The Absurdity of Contemporary Existence (hahaha white/black)» nehmen ein zentrales Motiv ihrer künstlerischen Arbeit auf: das HAHAHA. Die ikonische, aus der Sprache der Comics stammende Sequenz wird zu einem autonomen Element, das sich auf der Leinwand entfaltet und diese durch Bewegung und Vibration belebt. In früheren Arbeiten hat Comte dieses Motiv des Lachens mit Bildern der Umweltzerstörung kombiniert und schuf so einen schrillen Kontrast zwischen Humor und Kritik, einen beunruhigenden Kommentar zur Absurdität des zeitgenössischen Daseins.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Claudia Comte; Foto: Bernhard Strauss


Athene Galiciadis (*1978) verwandelt alltägliche und figürliche Motive in kalligrafische Muster. Ihre Arbeiten schaffen ein poetisches Gleichgewicht zwischen Wiederholung und subtilen, spielerischen Abweichungen. Der Titel ihrer sechsteiligen Edition «Three Sisters» verweist auf eine indigene Praxis aus der Landwirtschaft: das Anpflanzen unterschiedlicher Pflanzenarten, die sich gegenseitig im Wachstum unterstützen. Für Galiciadis wurde dieses Bild zum Modell ihrer Arbeitsweise: verschiedene gestalterische Elemente – neue und alte Motive, wiederkehrende Strukturen, persönliche Bezüge – fügen sich zu einer Struktur, in dem sich Gegensätze ergänzen und weiterentwickeln.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Athene Galiciadis; Foto: Bernhard Strauss

Andrea Heller (*1975) schafft organische Werke, die von natürlichen Strukturen inspiriert sind. Ihre Kompositionen schweben zwischen Ordnung und Unordnung, Strenge und Fluidität. Die geheimnisvollen Sujets ihrer zwei Lithografien evozieren etwas Skulpturales, Architektonisches wie auch Mineralisches. Der Titel der Edition «Inhabit» verweist einerseits auf einen «bewohnbaren» Raum und andererseits auf das Wort «Gewohnheit» und bezieht sich auf ein gewisses Regelwerk in Hellers Schaffensweise: Ihr Bildaufbau basiert auf Systeme, Reihenfolgen und Ordnungen, auf kleine Gesten, die sie unzählige Male wiederholt, um das Bild organisch wachsen zu lassen.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Andrea Heller; Foto: Bernhard Strauss

Isabelle Cornaro (*1974) setzt sich mit visuellen Traditionen auseinander, in dem sie sich aus verschiedenen Quellen stammendes Bildmaterial oder Objekte aneignet, neu anordnet und abstrahiert. Mit ihrer lithografischen Serie «Reproductions II (The Mannerist Edition)» bezieht sie sich auf die komplexe Bildsprache des Manierismus des 16. Jahrhunderts, die für überlange Formen, gewundene Kompositionen und eine fast obsessive Stilisierung des menschlichen Körpers bekannt ist. Die Lithografien pulsieren mit einer besonderen Künstlichkeit und erinnern gleichermassen an die farbliche Extravaganz manieristischer Maler wie Jacopo da Pontormo und an die synthetischen, industriellen Farbtöne der zeitgenössischen digitalen Kultur.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Isabelle Cornaro; Foto: Bernhard Strauss

Anaïs Defago (*1987) verwischt die Grenzen zwischen Skulptur, Architektur und Malerei. Ausgehend von ihrer unmittelbaren Umgebung erkundet sie die Ästhetik des Unspektakulären im urbanen Raum. Sie präsentiert mit ihrer Arbeit «IYI» eine Serie von lithographischen Monoprints, die architektonische Strenge mit sinnlicher Formensprache verbinden. Ihr Interesse gilt der optischen Täuschung, objekthafter Präsenz und der Spannung zwischen Sichtbarkeit und Abwesenheit. Ihre Arbeiten destabilisieren Wahrnehmungsmuster, indem sie das vermeintlich Konkrete in eine poetische Unbestimmtheit überführen.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Anaïs Defago; Foto: Bernhard Strauss

Sylvie Fleury (*1961) schliesslich vermischt die Ästhetik der Kosmetik mit der der Minimal Art. Die sechs Siebdrucke aus der Serie «Palette of Shadows» verfremden die Codes des Glamours, um sie besser gegen sich selbst wenden zu können. Im Kontext von «NEOGEO – Décalages féminins» markieren Fleurys Drucke eine wichtige Position: Sie bringen das Traditionsmotiv der geometrischen Reduktion in Berührung mit popkulturellen Narrativen und knüpfen an die ursprünglichen Themen der neuen Geometrie an – nämlich Abstraktion, Appropriation und Kritik.


Installationsansicht «NEOGEO - Décalages féminins», Sylvie Fleury; Foto: Bernhard Strauss

Diese künstlerischen Positionen zeigen, dass die Frage nach geometrischer Abstraktion heute nicht über einen formalistischen Kanon beantwortet werden muss, sondern durch Prozesse der Aneignung, Übersetzung und Differenz sichtbar wird. Das Medium der Druckgrafik erlaubt es, serielle Repetition mit konzeptueller Verschiebung zu verbinden und zwischen Idee, Materialität und Rezeption zu vermitteln. Gerade die Kooperation zwischen zwei Institutionen – der wissenschaftlich orientierten Graphischen Sammlung ETH Zürich und der experimentell-produzierenden Edition VFO – eröffnet neue Wege des Austauschs, der Kontextualisierung und der medienübergreifenden Praxis. In einer Zeit, in der Bildpolitiken, Reproduzierbarkeit und digitale Ästhetiken neu verhandelt werden, gewinnt das Medium Druck erneut an Relevanz: als Ort des Transfers und der Reflexion.